140 Jahre Technikgeschichte in Hannover:
Diese Geschichte ist geprägt von visionären Köpfen und wegweisenden Entwicklungen, die Hannover zu einem wichtigen Knotenpunkt für technologische Fortschritte gemacht haben. Lassen Sie sich auf dieser Seite inspirieren von den Geschichten der Pioniere, die mit ihrem Wissen und ihrer Leidenschaft einige Grundlagen für unsere heutige technologische Welt legten.
Pioniere der Elektrotechnik
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August Merling (1825-1884): Erster Dozent für das Gebiet "Elektrotechnik" an der TH Hannover
August Merling
* 24.11.1825 in Magdeburg
† 26.08.1884 in Hannover
ab 1871 Provinzial-Telegraphendirektor in Hannover
ab 1876 Vorlesung in der Telegraphie an der damaligen Polytechnischen Schule zu Hannover (spätere TH Hannover)
1880-1884 Dozent der Elektrotechnik an der TH Hannover
Merling war der erste Dozent in Deutschland, der ab 1880 an einer Technischen Hochschule Vorlesungen über Elektrotechnik hielt und dafür eigene Lehrbücher konzipierte und verwendete:
- "Die Telegraphen-Technik der Praxis im ganzen Umfange - zum Gebrauch für den Unterricht, für Bau- und Maschinen - Ingenieure, Telegraphen und Eisenbahn-Techniker, Mechaniker, Militair-Ingenieure und für die der Militair-Telegraphie nahestehenden Personen", Hannover 1879
- "Die elektrische Beleuchtung in systematischer Behandlung: Construction und Betriebsverhältnisse der Lichtmaschinen, elektrischen Lampen und Kerzen – für Ingenieure, Architekten, Industrielle und das gebildete Publikum", Braunschweig 1882
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Wilhelm Kohlrausch (1855-1936): Einer der ersten Professoren für Elektrotechnik und Gründungsmitglied des VDE
Wilhelm Kohlrausch
* 14.05.1855 in Marburg
† 16.04.1936 in Hannover
1878 Promotion zum Dr-Phil. an der Universität Würzburg
1881 Habilitation und Priv.-Doz. für Physik an der Universität Straßburg
1883 a.o. Professor an der Universität Straßburg
1884-1923 Professur für Elektrotechnik an der TH Hannover
1891 Mitglied und stellvertr. Vorsitzender der Prüfungskommission der Internationale Elektrizitätsausstellung in Frankfurt
1892-1895 Rektor der TH Hannover
1893 Gründungsmitglied des Verbandes Deutscher Elektroingenieure (VDE) und später VDE-Vorsitzender (1906-1908)
Der studierte Physiker gehörte zu den ersten in Deutschland berufenen Professoren für Elektrotechnik, gründete im August 1886 das Elektrotechnische Institut an der TH Hannover und entwickelte ein eigenständiges Curriculum für die Elektrotechnik („Hannoversches Modell“), das bis ca. 1894 gleichrangig mit TH Darmstadt die überwiegende Anzahl von Studierenden anzog. Dafür erhielt er einen Ehrendoktor (Dr.-Ing. E.h.) von der TH Berlin sowie zahlreiche weitere Preise und Ehrenmitgliedschaften.
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Georg Dettmar (1871-1950): Begründer der Normung elektrischer Maschinen
Georg Dettmar
* 14.10.1871 in Ohlau
† 25.10.1950 in Bückeburg
1905-1921 Generalsekretär des Verbandes Deutscher Elektroingenieure (VDE)
1921-1937 Professor für elektrische Anlagen, elektrische Bahnen und elektrische Kraftübertragung an dem Elektrotechnischen Institut der TH Hannover
1928 Gründung und Vorstandsmitglied des Forschungsinstituts für Elektrowärme (heutiges Institut für Elektroprozesstechnik der Leibniz Universität)
Als langjähriger Generalsektretär des VDE war Dettmar ein wichtiger Wegbereiter der Elektrotechnik als Fach in Deutschland, der dafür einen Ehrendoktor Dr.-Ing. E.h. von der TH Berlin erhielt. Er gilt als Begründer der Normung elektrischer Maschinen.
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Harald Schering (1880-1959): Pionier der elektrischen Mess- und Hochspannungstechnik
Harald Schering
* 25.11.1880 in Göttingen
† 10.04.1959 in Hannover
1904 Promotion in der Physik an der Universität Göttingen
1919 Ernennung zum Professor an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) Berlin
1927-1949 (1954) Professor für Theoretische Elektrotechnik und Hochspannungstechnik an der TH Hannover
Ehrenmitglied des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE)
Schering war ein bedeutender Forscher auf dem Gebiet der elektrischen Messtechnik, der insbesondere durch die nach ihm benannte Messbrücke (1920) sehr bekannt wurde. Ab 1927 lieferte er weitere Beiträge zur Hochspannungstechnik, sodass sein Institut 1954 die Bezeichnung „Schering-Institut“ erhielt. Ihm wurde zahlreiche weitere Ehrungen zu Teil.
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Heinrich Jordan (1906-1982): Pionier verlust- und geräuscharmer Drehstrommotoren
Heinrich Jordan
* 29.05.1906 in Düsseldorf
† 27.07.1982
ab 1929 Ingenieur und leitender Mitarbeiter der Allgemeinen Elektrizität-Gesellschaft (AEG) in Berlin
1940 Promotion an der TH Braunschweig
1955-1974 Professor für Elektrische Maschinen an der TH Hannover
Jordan hat mit der von ihm entwickelten Drehfeldtheorie für elektrische Drehstrommotoren insbesondere deren unerwünschte Effekte analytisch berechenbar gemacht. Damit trug er maßgeblich zu einem Verständnis akustischer Geräusche solcher Maschinen bei und wurde zu einem Pionier moderner, verlust- und geräuscharmer Drehstrommotoren.
Pioniere der Informatik
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Heinz Unger (1914-2007): Initiator der ersten elektronischen Rechenanlage an der TH Hannover
Heinz Unger
* 10.06.1914 in Nordhausen
† 06.11.2007 in Bonn
1944 Promotion in der Mathematik an der TH Darmstadt
1954-1955 apl. Professor an der TH Darmstadt
1955-1958 Professor für Praktische Mathematik an der TH Hannover
1958-1979 Professor für Angewandte Mathematik der Universität Bonn
Der von der TH Darmstadt, Hochburg der Rechenmaschinen (Alwin Walther), kommende Unger beschaffte 1957 die erste elektronische Rechenanlage (IBM 650) an der TH Hannover und legte damit den Grundstein für das spätere Rechenzentrum der Hochschule.
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Wolfgang Händler (1920-1998): Erster Lehrstuhlinhaber für elektronische Rechenanlagen der TH Hannover
Wolfgang Händler
* 11.12.1920 in Potsdam
† 19.02.1998
ab 1948 Forschungsabteilung des NWDR in Hamburg
ab 1957 Entwicklungsleiter bei Telefunken für den Transistorrechner TR4
1958 Promotion an der TH Darmstadt
1963-1966 Lehrstuhl für Elektronische Rechenanlagen der TH Hannover
1966-1986 Institut für Mathematische Maschinen und Datenverarbeitung der FA-Universität Erlangen-Nürnberg
Händler gehört zu den Pionieren, die in Deutschland elektronische Rechenanlagen realisiert haben (Telefunken TR4) und zusammen mit Günter Bertram begründete er das Rechenzentrum der TH Hannover. Als Mitbegründer der Gesellschaft für Informatik (GI) war er an der Institutionalisierung der Informatik in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich beteiligt.
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Günter Bertram (1920-2001): Erster Direktor des Rechenzentrums der TH Hannover
Günter Bertram
* 28.04.1920 in Hameln
† 03.05.2001 in ebenda
1950 Promotion an der TH Hannover
1953 Habilitation an der TH Hannover
1953-1960 Dozent an der Universität Jena, TH Braunschweig, Universität Hamburg, TH Hannover
1960-1988 Professor am Lehrstuhl für praktische Mathematik und darstellende Geometrie der TH Hannover
1963-1974 Erster Direktor des Rechenzentrums der TH Hannover
Bertram engagierte sich früh beim Aufbau der Informatik und Etablierung des Studienfachs Informatik in der Bundesrepublik Deutschland und war Förderer der rechnerspezifischen Arbeiten von Heinrich Heesch am Vier-Farb-Problem.
Bedeutende Absolventinnen und Absolventen
Aus der Geschichte der hannoverschen Elektrotechnik und Informatik gingen Absolvierende hervor, die sich als erfolgreiche Ingenieurinnen und Ingenieure einen Namen gemacht haben.
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Irmgard Flügge-Lotz (1903-1974): Erste naturwissenschaftlich-technische Promovendin der TH Hannover und Professorin an der Stanford University, USA
Irmgard Flügge-Lotz
* 16.07.1903 in Hameln
† 22.05.1974 in Stanford, USA
1927-1929 Assistentin am Lehrstuhl für praktische Mathematik und darstellende Geometrie (ab 1963 Lehrstuhl für elektronische Rechenanlagen) der TH Hannover
1929 Promotion in der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften (Horst von Sanden)
1929-1938 Mitarbeiterin der Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA) (Ludwig Prandtl) in Göttingen
1938-1945 Mitarbeiterin der Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin
ab 1948 Mitarbeiterin an der Stanford University, USA
1961-1968 Erste Full-Professorin für Ingenieurwissenschaften (Regelungstechnik) an der Stanford University, USA
Flügge-Lotz war die erste Promovendin in einer naturwissenschaftlich-technischen Disziplin an der TH Hannover und arbeitete danach als wissenschafltiche Mitarbeiterin an renommierten Forschungseinrichtungen in Deutschland. 1948 ging sie mit ihrem Mann an die Stanford University in Kalifornien und wurde eine der ersten Dozentinnen für Regelungstechnik. Im Jahr 1961 wurde sie dort die erste Professorin für "Engineering Mechanics and Aeronautics and Astronautics".
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Ernst Plathner (1899-1971): Gründer der ersten Firma für Radiogeräte in Hannover
Ernst Plathner
* 09.02.1899 in Hannover
† 26.11.1971 in Barsinghausen
1922 Diplom (Dipl.-Ing.) im Fach Elektrotechnik an der TH Hannover
03/1924 Gründung die Radiofirma OWIN (Oskar WINter) Radioapparate GmbH
1926 Lizenz als Funkamateur
1936 Konkurs von OWIN
ab 1936 Anstellung bei Telefunken, übersiedelt nach Berlin
ab 1938 Betrieb in Berlin-Neukölln: Herstellung patentierter Spulen
ab 1946 Betrieb in Barsinghausen: Herstellung von Kleintransformatoren u. Drosseln für Leuchtstofflampen
Nach seinem Abschluss als Dipl.-Ing. der Elektrotechnik an der TH Hannover gründete Plathner im März 1924, noch vor der Errichtung des Nebensenders der Nordische Rundfunk AG (NORAG) in Hannover (Dezember 1924), die Firma OWIN. Diese konstruierte und stelle Radioempfänger her. Ab April 1924 bis zur Eröffnung des Nebensenders betrieb Plathner einen eigenen Versuchssender im Geschäft seines Schwiegervaters - heute steht dort das Historische Museum Hannover. Bis ca. 1935 gehörte OWIN zu den größeren Herstellern für Radiogeräte in Deutschland.
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Reinhold Rüdenberg (1883-1961): Pionier der Elektrotechnik und Miterfinder des Elektronenmikroskops
Reinhold Rüdenberg
* 02.02.1883 in Hannover
† 26.12.1961 in Boston, USA
1901-1906 Studium Elektrotechnik und Maschinenbau an der TH Hannover
1906 Promotion an der TH Hannover (bei Wilhelm Kohlrausch)
1908-1936 Ingenieur, danach Chefelektriker (1923) bei den Siemens-Schuckert-Werken, Berlin
1913 Habilitation an der TH (Berlin-)Charlottenburg
1927 Honorarprofessor für Stark- und Hochspannungstechnik
1936 musste Deutschland wegen jüdischer Abstammung verlassen
1936-1938 “Consulting Engineer” in den Research Laboratories der General Electric Co. Ltd., London, UK
1939-1952 Berufung als Professor und Leiter des „Department for Electrical Engineering“ an der Harvard University in Cambridge/Mass., USA
Rüdenberg war Schüler von Wilhelm Kohlrausch an der TH Hannover und ein sehr vielseitiger Elektrotechniker. Besondere technisch-wissenschaftliche Leistungen waren u. a. sein Konzept eines drehzahlregelbaren Drehstrom-Nebenschluss-Kommutator-Motors mit Bürstenverstellung, seine Konstruktion eines Elektronenmikroskops mit elektrostatischen Linsen, das er in Konkurrenz zu Ernst Ruska und Max Knoll baute, und seine Arbeiten zur Ausbreitung elektromagnetischer Wellen. Nach den Nürnberger Rassengesetzen Deutschland verließ Rüdenberg Deutschhland und ging schließlich in die USA. Dort wurde er Professor für Elektrotechnik an der renommierten Havard University in Boston, USA.
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Jürgen Esch (1933-1973): Technischer Leiter des Rechenzentrums der TH Hannover
Jürgen Esch
* 04.06.1933 in Hannover
† 06.02.1973 in Bonn
1958 Diplom (Dipl.-Math.) im Fach Mathematik an der TH Hannover
1963-1968 Technischer Leiter des Rechenzentrums an der TH Hannover
1968 Promotion bei Profn. Bertram und Händler
1968-1971 Mitarbeiter bei AEG-Telefunken in Konstanz (TR440)
ab 1971 Abteilungsleiter bei der GMD in Bonn
Esch war Betreuer der ersten beiden Großrechenanlagen IBM 650 (ab 1957) und CD 1604-A/8090 (ab 1963) und war maßgeblich am Aufbau und der Organisation des Rechenzentrums an der TH Hannover beteiligt. Von 1968 bis 1971 war er Leiter einer Programmierungsgruppe bei der Firma AEG-Telefunken in Konstanz tätig ("Gruppe Esch"), die ein Betriebssystem für deren Großrechenanlage TR 440 entwickelte, welche damals die schnellste in Europa gebaute Anlage gewesen ist.